Wer schon einmal etwa bei einem Stummfilm versucht hat diesen ohne Ton anzuschauen, hat sicherlich sehr schnell bemerkt, wie die Aufmerksamkeit nachlässt und der Film langweilig zu werden beginnt. Diese Erfahrung kann man auch machen, wenn man bei Szenen beliebiger Filme, die ohne Sprache sind und nur mit Musik unterlegt sind. Die Filmmusik erfüllt sehr wichtige Funktionen (Filmmusik ist ein Bereich funktionaler Musik, wie auch Tanzmusik oder Musik in der Werbung)  innerhalb eines Bildablaufs, neben den Tonebenen Sprache und Geräusche hat die Musik großen Einfluss auf die emotionale Wirkung eines Filmes und auf die Wahrnehmung einzelner Szenen. Bei vielen bekannten Filmen ist der Soundtrack so eingängig, dass er losgelöst von den Bildern auf Tonträgern veröffentlicht wird.

Schon in den frühen Jahren der Filmentwicklung spielte die Musik eine wichtige Rolle. Sowohl Pianisten, als auch Orchester spielten vor der Filmleinwand. Einerseits wurden Ausschnitte aus vorhandenen Musikstücken gespielt, andererseits wurde auch Filmmusik passend zu den Szenen komponiert oder improvisiert. Anders als die improvisierenden Pianisten ging die komponierte Musik nicht auf Details der Szene ein, sondern versuchte die Grundstimmung oder den Grundcharakter der Szene zu verstärken. Ein Beispiel aus der Filmgeschichte ist Charlie Chaplins A Dog´s Life oder Modern Times mit der von Chaplin komponierten Musik. Die der Vielzahl insbesondere heutiger Fernsehfilme (Krimiserien wie Tatort etc.) unterlegte Musik folgt diesem Vertonungsmuster, wobei sich bestimmte Modelle für bestimmte Szenentypen (Verfolgungsjagd, Trauer, Romantik, Spannung etc.) herausgebildet haben. Im Laufe der Filmentwicklung hat sich die Gestaltung der Filmmusik in vielfältiger Weise weiterentwickelt. Grundlegend unterscheiden wir zunächst Bildton und Fremdton.

 

Bildton (Source Musik):

Bildton umfasst alle jene akustischen Begebenheiten, deren Herkunft unmittelbar von den Bildern ausgewiesen wird. Handelnde Personen nehmen den Ton selbst wahr. In vielen Szenen eines Filmes kann Musik stattfinden: Der Protagonist ist im Auto unterwegs und hört Popmusik aus dem Radio, man trifft sich im Café und im Hintergrund läuft eine CD mit Jazzballaden, die Szene spielt im Foyer eines Konzertsaales, aus dem ein Symphoniekonzert zu vernehmen ist usw.

Im hier gezeigten Beispiel aus einem Tatort sitzen Personen im Opernhaus und man hört die gerade gespielte Musik.

Videobeispiel (Bildton)

 

Fremdton (Score):

Unter Fremdton versteht man akustische Ereignisse, die im nachhinein dazukomponiert wurden. Die Herkunft des Tones ist nicht von den Bildern ausgewiesen und die handelnden Personen nehmen den Ton nicht wahr. Der weitaus größte Teil der Filmmusik ist die speziell zu einem Film komponierte Musik. Wir unterscheiden einige typische, grundlegende Vertonungstechniken.

 

Mood-Technik:

Die allgemeine Stimmung einer Filmszene wird durch die Musik untermalt. Die Musik erzeugt bzw. verstärkt im Zuschauer die Stimmung der Szene.

Das Beispielt zeigt eine müde Morgenstimmung. Ein obdachloser Mann und sein Hund erwachen. Die Musik hat eine kaum bewegte Rhythmik, lang gezogene, sich wiederholende Melodiebögen, sie steuert immer wieder auf Moll-Akkorde zu und entspricht der müden Stimmungslage.

Videobeispiel (Mood-Technik)

 

Improvisierende Pianisten:

Während die komponierte Filmmusik nur die passende musikalische Stimmung dem Bild hinzufügt, konnten die vor der Leinwand spielenden Pianisten auch auf bestimmte Details der Szenen reagieren. Einerseits verwendeten die Musiker schon bestehende, zur Stimmung der Szenen passende Musikstücke (hier konnten sie aus einer reichen Sammlung von Musikstücken unterschiedlicher Stimmungen auswählen) oder sie improvisierten die Musik. Auf bestimmte Aktionen in der Szene reagierten sie spontan.

Beispiel: Der Pianist spielt ein einfaches, zur Szene passendes Musikstück. Sobald die Leiter umzustürzen droht, werden Triller gespielt. Als der Mann auf der Leiter zu schaukeln beginnt, wechselt der Pianist rythmisch passend zum Schaukelrhythmus im 3/4 Takt. Das Umstürzen der Leiter unterstreicht der Pianist mit einem Glissando abwärts (er streicht abwärts über die Tasten). Nachdem Charly mit der Leiter umgefallen ist, prüft er, ob seine Uhr noch funktioniert. Wir hören vom Klavier verstimmte Uhr-Glockenklänge.   

Videobeispiel (Pianist improvisiert)

 

 

Underscoring-Technik:

Die Musik setzt den Bildablauf untermalend und illustrierend um. Die Mittel entsprechen der Programmmusik (siehe Romantik/Programmmusik).

  • Die Stimmung einer Situation wird wiedergegeben.
  • Die Geräusche einer Situation werden musikalisch dargestellt.
  • Die Bewegungen in einer Situation (auf, ab, schnell, langsam ...) werden durch entsprechende musikalische Mittel dargestellt.
  • Die Musik wird assoziativ eingesetzt (Sturm = wilde Musik).

Das folgende Beispiel zeigt einen Ausschnitt aus einem Disney Zeichentrickfilm. In vielen dieser Filme ist diese Vertonungsart in perfekter Weise zu hören. Im Beispiel steht Donald in einem Stall und sucht nach der Kuh Clementine. Für Donald steht der Song „Old Mc Donald had a farm“ und für Clementine „O my darling clementine“. Die Suchbewegungen seines Blickes ahmt die Klarinette nach. Donald findet sie gut gelaunt auf einem Baum. Entsprechend hören wir eine heitere Musik. Dem Herunterschweben der Kuh entspricht eine abwärts führende Musikbewegung, dem Zappeln der Beine entsprechen die Tonrepetitionen des Glockenspiels.

Videobeispiel (Underscoring-Technik)

 

 

Leitmotivtechnik:

Jede wichtige Person oder Personengruppe erhält ein charakteristisches musikalisches Motiv, das auch stellvertretend für die Personen stehen kann. Ein Beispiel ist der Western „Spiel mir das Lied vom Tod“. Immer wenn der Fremde (einer der Hauptpersonen) im Spiel ist, auch wenn er nicht zu sehen ist, hören wir das bekannte Mundharmonikamotiv. Diese musikalische Kennung der Personen besteht auch bei den drei weiteren Hauptpersonen mit entsprechend anderen die Personen charakterisierenden Motiven.

 

Grundlegende Funktionen der Musik

Die Musik zu einer Szene kann unterschiedliche Funktionen haben und im Zuschauer eine bestimmte Wahrnehmung beeinflussen.

Paraphrasierung

Die Art und der Charakter der Musik lassen sich direkt aus dem Bild ableiten, entsprechen also genau der Grundstimmung des Bildes bzw. der handelnden Person. Der Betrachter wird auf die Filmsituation eingestimmt. Bei der vordergründigen Paraphrasierung wird die Stimmung der Szene in der Musik verdoppelt, von der Szene und der Musik gehen dieselbe Wirkung auf den Zuschauer aus.

Beispiel: Die im Großformat zu sehende Person kommt erschüttert, traurig aus einem Haus. Die Musik greift diese Stimmung auf. Die Rhythmik bewegt sich gleichmäßig in langen Notenwerten, das Tempo ist schleppend langsam, die Melodik verläuft in kurzen abwärtsführenden Motiven.

Videobeispiel (Paraphrasierung)

 

Bei der hintergründigen Paraphrasierung beschreibt die Musik den Ort und die Zeit der Handlung oder auch der Situation des Bildes. Die Musik macht auf Dinge aufmerksam, die nicht auf den ersten Blick zu sehen sind. Wir sehen z.B. Personen, können aber aufgrund des Bildes nicht erkennen, wo sich die Personen befinden. Die zu hörende Discomusik macht und deutlich, wo sich die Szene abspielt.

 

Polarisierung

Inhaltlich neutrale Bilder werden durch einen eindeutigen Charakter der Musik eindeutig. Der Betrachter kann erst durch die Musik das Bild eindeutig interpretieren.

Beispiel: Ein Mann geht bei Dunkelheit durch eine Stadt. Der Mann ist nur von hinten zu sehen. Man sieht die Lichter der Stadt, allmählich wird es hell. Die Musik erzeugt eine unangenehme, verwirrende Stimmung. Wir hören einen eher tiefen brummenden Ton, darüber sind glockenartige Töne und verschwommene Klänge, die Rhythmik ist statisch. Der Zuschauer ahnt, dass bei diesem Mann oder in dieser Situation etwas nicht stimmt.

Videobeispiel (Polarisierung)

 

Kontrapunktierung

Die Musik widerspricht in ihrer Art und ihrem Charakter dem eindeutigen Bild. Die Musik behauptet z. B. das Gegenteil des Bildes (fröhliche Situation / dissonante Musik). Sie raubt dem Zuschauer das Behagen oder macht ihn auf Dinge aufmerksam, die im Bild so nicht zu sehen sind.

Beispiel: Zwei Paare sitzen fröhlich, lachend beim gemütlichen Zusammensein. Die Musik ist unangenehm, fast unheimlich. Die Rhythmik ist unbewegt, immer beginnend mit einem tiefen Brummton tauchen durch Pausen getrennte bizarre melodische Motive auf. Der Zuschauer kann die Fröhlichkeit so nicht mitempfinden, die Situation ist unangenehm. Die gezeigte Situation stimmt nicht mit der wirklichen Situation überein.

Videobeispiel (Kontrapunktierung)